Die Wähler haben sich am Sonntag in Neckarsulm beim Bürgerentscheid dagegen ausgesprochen, dass die Stadt Neckarsulm die Binswanger Straße mit der Bundesstraße 27 verbinden darf. Allerdings wurde die erforderliche Anzahl an Stimmen nur knapp verfehlt, so dass nun der Gemeinderat über den Bau des B27-Anschlusses entscheiden muss. Wie die Heilbronner Stimme berichtet, haben sich 3728 Neckarsulmer (57,4 Prozent) gegen das Projekt ausgesprochen. Allerdings gibt es rechtliche Hürden: Damit das Votum bindend ist, wären 3807 Stimmen nötig gewesen. Für die Anbindung haben sich 2768 Stimmberechtigte (42,6 Prozent) ausgesprochen. Die Beteiligung lag bei 34,2 Prozent.

Betonorgie mit zweifelhafter Wirkung: Geplanter Anschluss an die B27 in Neckarsulm. Animation der Stadt Neckarsulm
Der VCD begrüßt das Votum und hofft nun, dass auch der Gemeinderat dem Wählerwillen folgt und dem gigantischen Betonwahnsinn eine Absage erteilt, den die Neckarsulmer Stadtverwaltung weiterhin befürwortet. Sie verspricht sich von der Kreuzung, dass Teile der Innenstadt vom Verkehr entlastet werden. Kritiker sehen das anders. Sie fürchten Staus, und sie gehen davon aus, dass viele Autos weiterhin durchs Zentrum fahren. Auch die Kosten von 42 Millionen Euro sind Gegnern zu hoch; die Stadt hätte 22,6 Millionen Euro zu tragen. Der VCD vermisst in der Region ein zukunftsfähiges Mobilitätskonzept und hat mehrfach die rückwärtsgewandte Verkehrspolitik in diesem Zusammenhang kritisiert.
Man fragt sich angesichts der Diskussionen um den B27-Anschluss schon, ob die politisch Verantwortlichen in der Region jemals eine Stadt mit intensivem, attraktivem Straßenbahnverkehr besucht haben. Dazu müsste man eigentlich nicht weit reisen, und man könnte anschaulich sehen, was zeitgemäße, klimafreundliche E-Mobilität bedeuten würde. Zum Beispiel in Heidelberg, Karlsruhe, Mannheim, Freiburg oder Straßburg, wo moderne Niederflur-Trams die Menschen im Minutentakt sicher und komfortabel in einem dichten Netz an ihr Ziel bringen. In Straßburg kostet das übrigens pro Fahrt mit einem E-Ticket im 10er-Pack nur 1,32 Euro.

Ja wo bleibt sie denn? Warten auf die Tram zwischen Neckarsulm und Heilbronn. Die Stadtbahn verkehrt nur dreimal pro Stunde mit Taktlücken von 30 Minuten ©SCRITTI
Zur Erinnerung an die Herren Oberbürgermeister: Im Ballungsraum Heilbronn-Neckarsulm gibt es auch eine Straßenbahn und eine für viele Millionen Euro neu gebaute Infrastruktur. Während jedoch in anderen Großstädten eine solche Infrastruktur auch sinnvoll genutzt wird und die Bahnen im Minutenabstand fahren, liegt sie zwischen Heilbronn und Neckarsulm mehr oder weniger brach: Gerade einmal drei Stadtbahnen nutzen sie jede Stunde mit Taktlücken von bis zu 30 Minuten! Außer diesen drei Stadtbahnen gibt es keine weiteren ÖPNV-Verbindungen zwischen den beiden Städten! Der VCD hatte diese Verschlechterungen seit Einführung der Stadtbahn Nord im Dezember 2014 immer wieder kritisiert.
Seit über zwei Jahren finden beim sogenannten „Mobilitätspakt“ Debattierrunden statt, ohne dass es ernstzunehmende Ergebnisse gibt. Dabei sollte es doch eigentlich um „Zukunft“ und „nachhaltige Mobilität“ gehen. Immer wieder betonen die Verantwortlichen, man wolle den ÖPNV ausbauen. Doch Ideen, wie dies konkret geschehen könnte, haben sie offenbar keine. Kein Wunder, sie nutzen den mangelhaften ÖPNV in der Region ja selbst nicht und haben daher auch keine Ahnung von den Nöten der Fahrgäste. Die verstopfte B27 kennen sie jedoch aus eigener Erfahrung.
Wenn es dann darum geht, Ampelschaltungen zu ändern oder Straßen umzubauen, ist immer gleich Geld und Arbeitskraft vorhanden. Doch kein einziger Bus fährt bislang zusätzlich oder gar öfter. Wichtige Arbeitgeber in Neckarsulm wie Audi, Lidl, Kaufland, Bechtle sind mit dem ÖPNV aus den meisten Richtungen nur mühsam oder teils gar nicht auf direktem Wege zu erreichen. Es gibt weder eine Busverbindung aus Heilbronn zu Bechtle noch eine aus Richtung Leingarten oder Neckargartach zu Audi. Die Liste lässt sich endlos fortsetzen.

Mobilität im Minutentakt: Straßburg hat 1994 wie Heilbronn die Tram wieder eingeführt und inzwischen ein 48 Kilometer langes Netz aus 6 Linien geschaffen, dass bis über den Rhein ins Zentrum von Kehl reicht ©SCRITTI
Zugleich ist die Stadt Neckarsulm bereit, locker mal 22 Millionen Euro an Steuergeldern für noch mehr Autoverkehr und noch mehr Klimazerstörung zu investieren. Für das gleiche Geld könnte man bereits zwei Kilometer Straßenbahn durchs Zentrum der Stadt bauen und langfristig dafür sorgen, dass die Menschen eine ernsthafte Alternative zum Auto haben. (mgr)